Rote Fahne 04/2019

Rote Fahne 04/2019

Rebellion gegen die imperialistische EU

Im Vorfeld der Europawahlen erleben wir einen Aufschwung von Arbeiter- und Volkskämpfen in verschiedenen Ländern Europas. Sie richten sich oft auch gegen Bestandteile und Folgen der EU-Politik. Die Haltung zur EU ist eine zentrale Streitfrage. Ist die EU das Projekt des Friedens und der Völkerverständigung, für das sie nicht wenige noch halten? Oder zumindest weniger krass als Putin und Trump? Oder ...

Rebellion gegen die imperialistische EU
Foto: Mediamodifier / Pixabay License

Viele Menschen verbinden mit Europa bzw. der EU ihre Erfahrungen mit der Reisefreizügigkeit, dem Kennen- und Schätzenlernen der Menschen in den Nachbarländern, ihrer Kultur, aber auch mit länderübergreifenden Freundschaften und familiären Beziehungen, enger beruflicher Zusammenarbeit, Schüleraustausch, gemeinsamen Jugendprojekten und vielem mehr.

Das ist auch Ergebnis der gesetzmäßigen Internationalisierung der Produktions- und Austauschweise, die sich im Leben in der EU widerspiegelt. Die freundschaftlichen Verbindungen sind vor allem eine Schlussfolgerung der Massen aus den Erfahrungen zweier Weltkriege mit Hauptschlachtfeldern in Europa. Das gewachsene antifaschistische Bewusstsein, die Lehre, dass sich die Völker nicht mehr gegenein­ander aufhetzen lassen dürfen, ist ein hohes Gut. Und hat sich im tief ins Bewusstsein der Menschen eingegraben. Die EU muss dem mit ihrer Politik taktisch in gewissem Umfang Rechnung tragen. Das ist ein wesentlicher Grund, warum sie international selten offen aggressiv auftritt und das Bündnis ihrer 28 Mitgliedsstaaten als Beitrag zu „Völkerverständigung“ und „Frieden“ ausgibt.

Doch darf man die Realität des freundschaftlichen Zusammenlebens, der Solidarität und die Wünsche der breiten Massen in Europa keinesfalls mit dem wahren Charakter der imperialistischen EU gleichsetzen. Die Europäische Union ist eine Vereinigung großer imperialistischer mit kleineren kapitalistischen und imperialistischen Ländern. Den größeren Staaten gibt eine solche Verbindung mehr Gewicht. Die kleineren imperialistischen Staaten bekommen die Chance, am internationalen Konkurrenzkampf teilzuhaben, was aus eigener Kraft nur wenig aussichtsreich wäre. Dafür müssen sie sich weitgehend den Interessen der führenden imperialistischen Länder – Deutschland, Frankreich, Italien und bisher Großbritannien – und ihrer Übermonopole unterordnen.

Der Zweck der EU ist der gemeinsame Konkurrenzkampf gegen die anderen imperialistischen und neuimperialistischen Rivalen wie USA, China, Russland oder Japan. Diese Konkurrenz ist auch Quelle verschärfter Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiter, grassierender Umweltzerstörung und erhöhter Kriegsgefahr auf der Welt.

Ein unlösbarer Widerspruch

Die Erfahrungen mit der abgehobenen EU-Bürokratie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass inzwischen die EU von einem wachsenden Vertrauensverlust erfasst wurde. Man erinnert sich an volksfeindlichen Beschlüsse wie die umstrittenen Dienstleistungsricht­linie zur Förderung der Arbeitskräftekonkurrenz von 2006. An das rigorose Krisenmanagement unter anderem gegenüber Griechenland. An ihre reaktionäre Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge. Oder an die zunehmende Aufrüstung für Militäreinsätze in aller Welt. Die bürgerlichen Parteien versuchen bei den Europawahlen dem schwindenden Vertrauen entgegenwirken.

Bundeskanzlerin Angela Merkel prophezeite schon im November letzten Jahres einen „sehr harten Wahlkampf“ zu den Europawahlen. Die pro-europäischen Kräfte müssten mit den „gefährlichen Tendenzen“ der nationalen Abschottung fertigwerden. Dabei bestehen die Differenzen nur darin, ob nun die EU-Außen- oder Innengrenzen dichtgemacht werden sollen.

Die wachsenden Widersprüche innerhalb der EU bis hin zum Brexit, dem geplanten Austritt Großbritanniens, sind Folge des im Imperialismus unlösbaren Widerspruchs zwischen der Internationalisierung der Produktion und der nationalstaatlichen Organisa­tionsform des Kapitalismus.

Mit der EU haben sich grenzüberschreitende halbstaatliche Organisationsformen herausgebildet. Sie üben immer mehr Einfluss auf nationale Regierungen aus, im Fall von Griechenland bis zur nackten Unterwerfung. „Dieselbe Konkurrenz jedoch, die die europäischen Imperialisten dazu treibt, ein Bündnis einzugehen, verhindert zugleich, dass sie ihren Anspruch auf Macht über andere aufgeben und sich in friedliche und demokratische ,Vereinigte Staaten von Europa‘ auflösen“, analysierte Stefan Engel1 2003. Das Projekt der europäischen Imperialisten zur politischen Vereinigung unter imperialistischen Vorzeichen ist seither immer tiefer in die Krise gerutscht, die immer wieder auch offen ausbricht. Das Hauptproblem aller Monopolpolitiker ist, dass sie diese Krise der EU nicht in den Griff bekommen können.

Welche Art EU-Kritik ist nötig?

Nicht erst seit dem Brexit versucht die herrschende Propaganda die EU-Bürger in eine schräge Pseudo­alternative zu drängen: Entweder man sei für Völkerfreundschaft und Frieden; dann müsse man auch Anhänger der EU sein und sie bei aller vielleicht vorhandenen Kritik im Grundsatz verteidigen. Oder man ist gegen die EU. Und das wäre gleichbedeutend mit nationalistischer und chauvinistischer Gesinnung sowie Anhängerschaft zu rechten Parteien und Strömungen.

Teil dieser Meinungsmanipulation ist es, die linke fortschrittliche oder gar revolutionäre Kritik an der imperialistischen EU weitgehend aus den Medien und dem öffentlichen Diskurs auszusparen. Wer für Frieden sei, müsse die EU gegen die ultrareaktionären und nationalistischen Kräfte á la AfD verteidigen.

Deshalb nutzt die MLPD in enger Kooperation mit der revolutionären Weltorganisation ICOR2 die anstehenden Wahlen zum EU-Parlament, um eine intensive Aufklärungskampagne durchzuführen. Was bedeutet überhaupt Imperialismus – ist dabei eine zentrale Frage.

Glaubt man dem bürgerlichen Schulunterricht ist der Imperialismus eine Frage der Vergangenheit – spätestens mit dem II. Weltkrieg verschwunden. Eine bewusste Desinformation. „Das Wesen, der Kern des monopolistischen bzw. staatsmonopolistischen Kapitalismus ist das ökonomische Monopol. Das ökonomische Monopol bildet die Hauptursache der politischen Reaktion, des Imperialismus überhaupt“, analysierte Willi Dickhut 1979. Er stützte sich auf die Analysen des russischen Revolutionärs Lenin. Sowohl in der Innenpolitik wie auch in der Außenpolitik strebt der Imperialismus nach Herrschaft: „Reaktion nach innen – Aggression nach außen“, so das Fazit von Willi Dickhut3. Die EU schickt heute nicht sofort Truppen. Ak­tuell hat sie wieder eine ihrer „Kontaktgruppen“ nach Venezuela entsandt, um einen Regierungswechsel herbeizuführen. Sie wollen das Land aus dem imperialistischen Einfluss Chinas und Russlands lösen. Um Demokratie für die Massen oder gar Freiheit geht es den EU-Imperialisten nicht. Sonst wären sie nicht eng mit faschistischen Regimes in der Türkei, Iran und anderen Ländern verbunden.

Frieden und Völkerfreundschaft lässt sich nicht im Rahmen der imperialistischen EU durchsetzen, sondern nur gegen ihre Machtbestrebungen. Deshalb ist die fortschrittliche Rebellion gegen die EU berechtigt und notwendig. Sie hat auf ihren Fahnen demokratische Rechte und Freiheiten, Sozialismus geschrieben. Sie ist das Gegenstück gegen alle Varianten des Nationalismus wie Imperialismus.

Europas Arbeitereinheit wächst

In den Massenkämpfen, Streiks und Demonstrationen in Europa in den letzten Jahren drückt sich ein gewachsenes internationalistisches Bewusstsein, echte Völkerverbundenheit, länderübergreifende Solidarität und der Wunsch nach Zusammenarbeit aus. In den Kämpfen vieler Belegschaften wachsen Wunsch und Einsicht, sich nicht nach verschiedenen Standorten in unterschiedlichen Ländern ausspielen und spalten zu lassen.

So erhielt der Streik der Audi-Arbeiter in Ungarn sofort die Solidarität und Unterstützung von Audi-Kollegen in Ingolstadt. Hier sind es vor allem die Revolutionäre, die Mitgliedsorganisationen in der ICOR, die alles daransetzen, dass die Kämpfe im Geiste des proletarischen Internationalismus geführt werden. So berichtet die Organisation der Gemeinschaft der Jugend (MIKSZ) aus Ungarn, die Mitglied der ICOR ist: „MIKSZ unterstützt die Arbeiter und Gewerkschaften bei ihren Protesten zur Bekämpfung des als ‚Sklavengesetz‘ bekannt gewordenen neuen Arbeitsgesetzes. … MIKSZ wird den Arbeiterkämpfen mit allem, was in unserer Macht steht, helfen …“

Mit Unterstützung der ICOR haben sich in den letzten Jahren Organisationsformen und Methoden entwickelt, den länderübergreifenden Gedanken- und Erfahrungsaustausch sowie die Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung in Klassenkämpfen zu organisieren: Die internationale Koordinierung der kämpferischen Bergarbeiterbewegung, die internationale Automobilarbeiterkonferenz, der internationalen Hafenarbeiter-Erfahrungsaustausch aber auch die Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen. Die internationale Automobilarbeiter-Koordinierung entwickelte die weltweite Solidarität mit den kämpfenden VW-Arbeitern unter anderem in Tschechien, Deutschland, Spanien oder Portugal, aber auch Südafrika.

Die MLPD verfolgte schon seit den 1990er-Jahren eine intensive Politik der Zusammenarbeit unter den internationalen Konzernbelegschaften. Unter dem Einfluss der systematischen Überzeugungsarbeit der MLPD kam es seit 2004 bei Bosch, Daimler, GM-Opel, Electrolux, Siemens und EADS zu länderübergreifenden, konzernweiten Aktions- und Streiktagen zur Verteidigung der Arbeitsplätze und der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Später wuchs diese Zusammenarbeit auch unter den Stahlbelegschaften. Die kämpferische Richtung in den deutschen Stahlbelegschaften, an der auch Genossinnen und Genossen der MLPD maßgeblich mitwirken, lehnt zum Beispiel Tarifverträge ab, die einseitig nationale Interessen vertreten. „Diesem Vertrag können wir nicht zustimmen“, so positionierten sich Anfang 2018 die Stahlarbeiterinnen und Stahlarbeiter rund um die Kollegen-Zeitung Stahlkocher. Die rechte IG-Metall-Führung hatte im Zuge einer Fusion einen Vertrag mit Thyssenkrupp geschlossen, der die Beschäftigen in anderen Ländern und von Tata Steel außen vor ließ.

Revolutionäre Zusammenarbeit

Vor neun Jahren wurde die ICOR als revolutionäre Weltorganisation gegründet. Sie umfasst heute 52 Mitgliedsorganisationen aus vier Kontinenten, eine Reihe weitere Organisationen haben ihren Mitgliedswunsch geäußert. In der ICOR Europa haben sich Organisationen aus Spanien, Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, der Schweiz, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Griechenland, Bulgarien, der Türkei, Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Luxemburg, Russland, Weißrussland und der Ukraine zusammengeschlossen. „Freunde der ICOR“ gibt es in Portugal und Schottland. Die ICOR Europa organisiert unter anderem Seminare zu schrittweisen ideologisch-politischen Vereinheitlichung: so zur Bedeutung des gesellschaftsverändernden Umweltkampfs als gemeinsame Aufgabe aller ICOR-Mitglieder; aber auch Seminare zu Fragen der gegenseitigen Unterstützung, Hilfe und des Erfahrungsaustausches beim Parteiaufbau. Genossen aus Portugal schreiben: „Die ICOR gibt uns Gelegenheit und gute Beispiele, um von den Erfahrungen anderer Organisationen über Grenzen hinweg zu lernen.“

2017 organisierte die ICOR ein ganzes Ensemble von Aktivitäten zu 100 Jahre Oktoberrevolution: ein internationales Seminar zu den theoretischen und praktischen Lehren der Oktoberrevolution mit 1050 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, ein begeisterndes Internationales Kulturfest, Besuch in Sankt Petersburg mit Stadtrundreise, Empfängen und einer kämpferischen Demonstration.

Rebellion gegen die EU

Die ICOR Europa hat Ende letzten Jahres beschlossen, eine offensive, kämpferische Kampagne ihren Mitgliedsorganisationen gegen das imperialistische EU-Bündnis zu organisieren. Die Europawahlen fördern die Diskussion über die EU. „Wir müssen zeigen, dass die EU den großen Monopolen dient, und wir müssen gegen die EU kämpfen“ so ein Genosse der kommunistischen Partei Bulgariens. Und weiter: „Es gibt aber auch Hoffnungen unserer Bevölkerung in die EU, dass sie der wirtschaftlichen Entwicklung dient. Das müssen wir widerlegen“. Da hilft ein Blick nach Ungarn. Dort wird den EU-Monopolen der rote Teppich ausgerollt. Mit dem niedrigsten Steuersatz der EU und der Senkung der Sozialabgaben der Unternehmen um rund 30 Prozent seit 2017.4 Natürlich dient die EU der wirtschaftlichen Entwicklung. Aber nicht der der Werktätigen, sondern der der großen Monopole.

Vor wenigen Tagen erst besuchte eine Delegation der MLPD Paris. Gemeinsam mit den Genossinnen und Genossen der französischen ICOR-Organisation nahm sie an der gemeinsamen Demonstration von Gelbwesten und Gewerkschaften teil.5

Die MLPD hat Erfahrungen mit dem Europawahlkampf. Sie kandidiert im Rahmen des Internationalistischen Bündnisses als Internationalistische Liste/MLPD. Dafür hat sie überzeugende Kandidatinnen und Kandidaten. Neue Politiker, die auch die EU dringend braucht.6 In diesen Tagen werden die letzten benötigten Unterschriften für die Wahlzulassung gesammelt.

Ein freiheitliches, friedliches, solidarisches Europa – das kann es nur unter sozialistischen Vorzeichen geben und muss durch die internationale sozialistische Revolution erkämpft werden. Oder wie Lenin es ausdrückt:

„Die Vereinigten Staaten der Welt … sind jene staatliche Form der Vereinigung und der Freiheit der Nationen, die wir mit dem Sozialismus verknüpfen – solange nicht der vollständige Sieg des Kommunismus zum endgültigen Verschwinden eines jeden, darunter auch des demokratischen, Staates geführt haben wird.“