Umwelt

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Offene Akademie: Stellungnahme

Einspruch: Es gibt kein Restbudget mehr

Offene Akademie: Stellungnahme

22. Dezember 2020

An die deutschen Vertreter*innen auf EU-Ebene

An die Bundesregierung

Einspruch: Es gibt kein Restbudget mehr!

Wir beziehen uns auf die „Stellungnahme der Scientists for Future zu den „Forderungen von Fridays for Future Deutschland an die deutschen Vertreter*innen auf EU-Ebene“ vom 2. Oktober 2020.1 Einige von uns sind für „Scientists for Future“ aktiv. Wir stimmen überein, dass die Entwicklung des Weltklimas dramatisch ist, halten jedoch die in dieser Stellungnahme geforderten Veränderungen für unzureichend, weil sie viel Spielraum für Untätigkeit lassen.

1. Die Stellungnahme macht durchgehend das unzureichende Pariser Klimaabkommen zur Basis. Sie spricht vom„völkerrechtlich verbindlichen Klimaabkommen von Paris“. Das Abkommen ist zwar eine rechtlich bindende Vereinbarung für die unterzeichnenden Staaten, aber die unverbindlichen Formulierungen sind von wenig rechtlichem Wert, wenn man den Text betrachtet:2 „Dieses Übereinkommen zielt darauf ab, ... (dass) der Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau gehalten wird und Anstrengungen unternommen werden, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zubegrenzen“ (Artikel 2).

Man hat ein Ziel, „Zur Verwirklichung ... sind ... ehrgeizige Anstrengungen ... zu unternehmen“ (Artikel 3), es „sind die Vertragsparteien bestrebt, so bald wie möglich den weltweiten Scheitelpunkt der Emissionen von Treibhausgasen zu erreichen ... und danach rasche Reduktionen im Einklang mit den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen herbeizuführen, um in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem Abbau solcher Gase durch Senken ... herzustellen (Artikel 4).“

Ein Ziel zu erklären, Anstrengungen zu versprechen, bestrebt zu sein – relativ unverbindlichen Formulierungen, bloßen Zielvorgaben und Willensbekundungen etc. letztlich ohne Konsequenz für nicht erfüllende Regierungen – wie soll das denn rechtlich prüfbar sein? Es gilt, den Text zu lesen und korrekt zu interpretieren und nicht etwas hinein zu wünschen, was dort nicht steht. Die Offene Akademie hat es am 14. März 2019 so bewertet: „Das Pariser Klimaabkommen beruht auf freiwilligen Selbstverpflichtungen der Länder, wie sie schon nach dem Kyoto-Protokoll von 1997 gescheitert sind ... Wir wollen eher diesen rebellischen Geist (der Jugend) unterstützen, anstatt uns auf unverbindlichen Minimalkonsens der Herrschenden zu berufen.“3

Diese Unverbindlichkeit hat seither die Bundesregierung genutzt, keine wirksamen Maßnahmen einzuleiten. Und in diesem Abkommen ist auch die Atomenergie offen gelassen, sie wird von einigen Regierungen, die unverhohlen auf Atomenergie setzen, gar als Klimaschutz ausgegeben. CO2 Speicherung wird als eine Lösung erwähnt (Präambel), doch die unterirdische CO2 Speicherung ist eine gefährliche Technik.

2. Der Temperaturanstieg beträgt bereits 1,2°C mit einem erkennbaren beschleunigten Anstieg. Der mittlere Temperatur anstieg der 12 Monate bis April 2020 betrug sogar 1,3°C. Es verbleibt nur noch wenig, und bei Fortsetzung werden die 1,5° bereits in wenigen Jahren gerissen.4

CO2 verbleibt lange in der Atmosphäre. Auf Landmassen ist der Temperaturanstieg höher. Es haben bereits Effekte der Selbstverstärkung der Erderhitzung eingesetzt, die den Temperaturanstieg weiter beschleunigen. Beispielsweise schreitet das Abschmelzen der Polkappen voran, und das Auftauen der Permafrostböden in Sibirien hat 2020 dramatisch eingesetzt. Doch seit dem Abkommen 2015 haben die CO2 Emissionen zugenommen. Um den Temperaturanstieg auf1.5°C zu begrenzen, müsste die globale Produktion fossiler Brennstoffe zwischen 2020 und 2030 jährlich um sechs Prozent reduziert werden. Stattdessen planen die Förderstaaten eine jährliche Mehrproduktion von zwei Prozent, was bis 2030 mehr als doppelt so viel wie mit dem 1.5°C Ziel vereinbar ist.5 Doch auch Temperaturanstieg bis auf 1,5°C kann nicht akzeptiert werden.

3. Es gibt kein Restbudget mehr. Der „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC), auch als Weltklimarat bezeichnet, rechnet 2018 Szenarien durch; er kommt aber vor allem zu dem Ergebnis, dass die nationalen Zusagen aller Regierungen nur etwa die Hälfte von dem ausmachen, was er für notwendig hält, um eine Chance auf Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5°C zu erreichen.6 Und auch wenn diese erfolgen würden, ist die Unsicherheit groß. Wie das National Center for Climate Restoration7 nachweist, beruhen die Restbudgetberechnungen auf Prognosen, die die Klimaerwärmung signifikant unterschätzen.

Selbst die gemachten zu geringen nationalen Zusagen werden von den Regierungen nicht eingehalten, auch von nicht. In Datteln ging das größte Steinkohlekraftwerk Europas in Betrieb. Auch seit dem Pariser Abkommen geht der Anstieg der Emissionen weltweit unvermindert fort.

Ein Restbudget zu erlauben wird so ausgelegt, untätig zu sein bis es verbraucht ist. Die Formulierung „bleibt objektiv nicht mehr viel Zeit“ legt sich nicht fest, ob das noch 10 Jahre sein können. Auch die Forderung, ein maximales Budget von 20 Gigatonnen zuzulassen, dafür „würde das EU-Budget noch für etwas mehr als sieben Jahre reichen“, wird der Lage nicht gerecht, sie wiederum als siebenjährige Untätigkeit ausgelegt werden könnte.

4. Wir brauchen Sofortmaßnahmen.

Das eingangs genannte Kriterium „politisch wie ökonomisch im Bereich des Notwendigen und Machbaren“ wird dagegen geradezu gebraucht, um Sofortmaßnahmen zu verhindern, da sie „ökonomisch“ mit der nach dem Profitprinzip arbeitenden Energiewirtschaft nicht vereinbar seien. In der Agrarpolitik sind kaum Fortschritte erreicht, weil die deutsche zuständige Ministerin mit der agrarindustriellen Lobby billigste Kompromisse eingeht. Einige Dutzend internationaler Konzerne und Staatsmonopole verantworten zwei Drittel der globalen Grünhausgasemissionen.10 Doch gerade diese Akteure müssten für die Umweltschäden zur Rechenschaft gezogen werden. Eine Stellungnahme aus de rWissenschaft darf nicht das „Machbare“, sondern muss das aus wissenschaftlichen Erkenntnissen objektiv Notwendige beinhalten. Treibhausgasemissionen müssen sofort drastisch reduziert und innerhalb von 10 Jahren auf unter 10% des

heutigen Niveaus gebracht werden. Dies erfordert einen umfassenden Katalog an Sofortmaßnahmen in Industrie, Verkehr, Energiesektor, Landwirtschaft, Konsum, der die Treibhausgasemissionen weltweit in 10 Jahren um 90% senkt. Bei den entwickelten Ländern müssen es mehr als bei den Entwicklungsländern sein.

Weitere Faktoren, die in Wechselwirkung mit der Klimakrise stehen, wie das Artensterben, Pandemien, die Entwaldung, die Vermüllung der Meere, die Knappheit an Trinkwasser und Nahrungsgrundlagen, Kriege als Folge der Klimakatastrophe müssen in die Betrachtung einfließen12 . Eine Stellungnahme aus der Wissenschaft muss das formulieren, was wissenschaftlich geboten ist. Maßstab können nicht angebliche politische und ökonomische Sachzwänge sein. Diese gilt es, wissenschaftlich zu hinterfragen, statt sich allein auf oben genanntes Abkommen mit unverbindlichen Minimalkonsens der Herrschenden zu berufen. Zudem ist es nicht der Sache dienlich, die zunehmende kapitalismuskritische Tendenz unter der Jugend durch Ermahnung auf das angeblich Machbare wieder in einen systemkonformen Rahmen einzuengen. Wenn „ökonomische“ Bedingungen wie die gegenwärtige Wirtschaftsordnung das Überleben der menschlichen Zivilisation nicht ermöglichen, so ist diese zu ändern. Eine wissenschaftliche Untersuchung weist nach, dass im Jahr 2017 71% der globalen CO 2 Emissionen durch die 100 größten Konzerne im Bereich Energie und Rohstoffe verursacht wurden 12 . Die Klimakatastrophe kann nicht aufgehalten werden, ohne die sie verursachenden kapitalistischen Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen. Daher wird die Kritik am Kapitalismus von uns ausdrücklich geteilt.

Erstunterzeichner:

Prof. Dr. Rolf Bertram, Göttingen
Dr. med. Günther Bittel. Duisburg
Bernd Ebersberger, Nürnberg
Prof. Dr. Rainer Frentzel-Beyme, Bremen
Dr. Maria Grein, Bochum
Prof. Dr. Sigmar Groeneveld, Göttingen
Peter Hensinger, Stuttgart
Prof. Dr. Christian Jooss, Göttingen
Dr. Peter Kaiser, Hameln
Irene Kortel, Freiburg
Prof. Aziz Kortel, Freiburg
Christoph Klug, Recklinghausen
Prof. Dr. Josef Lutz, Chemnitz
Jonas Norpoth, Kassel
Hartwig Mau, Essen
Conrad von Pentz, Wilhelmshaven
Peter Reichmann, Gelsenkirchen
Dr. Rainer Werning, Frechen
Prof. Dr. Jean Ziegler, Genf
Sebastian Zumdick, Münster