Leseprobe
Einleitung
„Das kapitalistische System verschwindet nicht von selbst. Seine Stunde schlägt erst dann, wenn tiefgehende Wirtschaftskrisen das Gefüge der kapitalistischen Produktion, des Handels und der Finanzen erschüttern, das politische Gefüge des monopolkapitalistischen Systems in eine Sackgasse gerät, die Machtstellung der Monopolbourgeoisie geschwächt wird und die grundlegenden Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sich derart zuspitzen, daß die Massen nicht mehr in der alten Weise leben wollen und die herrschende Klasse nicht mehr in der alten Weise regieren kann.“ (Grundsatzerklärung des KABD, S. 12)
Befindet sich das kapitalistische System der BRD zur Zeit in einer Wirtschaftskrise oder in einer Phase der relativen Stabilisierung? Diese Frage zu klären, scheint angesichts des Gejammers der deutschen Industrie und der Fehleinschätzungen verschiedener Gruppen notwendig.
Bereits in seiner Broschüre vom Januar 1973 „Die gegenwärtige Wirtschaftslage und die proletarische Taktik“ hat der KABD gründlich nachgewiesen, daß der deutsche Imperialismus sich gegenwärtig in einer Phase der relativen Stabilisierung befindet. Hat sich seitdem die Lage für die Monopolkapitalisten derart verschlechtert, daß man jetzt von einer Wirtschaftskrise sprechen kann?
Der Kommunistische Bund Westdeutschland (KBW) ist offensichtlich dieser Meinung. Gleich auf der ersten Seite seiner „Kommunistischen Volkszeitung“ (KVZ) vom 10. Juli 1974 steht der Artikel „Krise in der Automobilindustrie“. Anhand der Entlassungen und Kurzarbeit verschiedener Automobilbetriebe in der letzten Zeit wird eine Überproduktionskrise in dieser Branche „nachgewiesen“. Diese Einschätzung deckt sich mit dem Krisengejammer der Automobilindustrie in den Schlagzeilen der bürgerlichen Presse. Die ROTE FAHNE des KABD weist in ihrer Juliausgabe nach, was es mit diesem Krisengerede auf sich hat.
Dividenden von 9 % bei VW und 18 % bei Daimler und BMW, Steigerung der Inlandsverkäufe bei VW im April um 9 %, bei Opel Steigerung der Automobilproduktion in der ganzen Welt um 27 % und Steigerung der Investitionen machen das Krisengerede un-glaubwürdig. Sicherlich wird die Steigerung des Absatzes nicht mehr so explosionsartig vor sich gehen wie bisher, aber die Konzerne haben sich schon auf die Erschließung neuer Absatzmärkte ein-gerichtet. Mit der Verlagerung der Produktion ins Ausland ist eine brutale Rationalisierungsoffensive im Inland verbunden. Und genau diese Offensive ist der Grund für die Entlassungen und die Kurzarbeit so vieler Kollegen in den Automobilwerken. Das heißt aber, daß es notwendig ist, nicht auf den Zweckpessimismus der Konzerne hereinzufallen, der Krisenpropaganda entschieden entgegenzutreten und die Pläne der Automobilkonzerne zu entlarven!
Der KBW bringt aber noch weitere „Beweise“ für die gegenwärtige Krise. Der Artikel „Die Herstatt-Pleite – Zeichen der Krise“ versucht, einen Zusammenhang zwischen der angeblichen Krise der westdeutschen Wirtschaft und der Bankpleite herzustellen. Dabei pfeifen es die Spatzen von den Dächern, daß die Ursache der Herstattpleite die Spekulation des Chefs des GERLING-VERSICHE-RUNGS-KONZERNS, Gerling, ist, der 85 % Anteil der Herstattbank und damit Weisungsrecht besaß. Durch Mißbrauch des Vertrauens der kleinen Einleger von Ersparnissen und mit deren Geld hatte Gerling spekuliert und zunächst riesige Profite gemacht. Dann hat er sich verspekuliert und die Millionen-Verluste den Ein-legern und die Herstattbank ihrem Schicksal überlassen, indem er kurz vor der Pleite seinen Bankanteil abstieß und ausschied.
Das ist der Tatbestand und nicht die „Krise“ der „KVZ“. Die wird auch nicht glaubwürdiger, indem sie eine Meldung der „Süddeutschen Zeitung“ zitiert:
„1973 war für nahezu alle Banken ein mieses Jahr, denn die meisten Institute mußten beim Kreditgeschäft, und das ist und bleibt der Kern aller Bankgeschäfte, heilfroh sein, wenn sie, ehrlich gerechnet, mit Plus/Minus Null herauskamen“,
und die „KVZ“ folgert daraus:
„Wenn also das Geschäft für die Bankiers nicht so gut lief, dann, weil die Kapitalisten nicht mehr so flott investierten, wozu sie das Geld hätten brauchen können … Das miese Jahr für die Banken ist also nur Ausdruck einer krisenhaften wirtschaftlichen Entwicklung in Westdeutschland.“
War das Jahr 1973 für die Banken wirklich so mies? Die folgende Tabelle läßt an dieser Tatsache die stärksten Zweifel aufkommen:
Tabelle 1 (s.o.)
So ist denn auch die Commerzbank optimistisch für das laufende Jahr: „Das Jahr 1974 begannen wir organisatorisch und finanziell gut gerüstet für weiteres Wachstum.“ Dieser Optimismus und die oben angeführten Zahlen zeigen wohl deutlich, daß von „Plus/ Minus Null" nicht die Rede sein kann und daß die „KVZ“ auch hier wieder auf das Krisengejammer der Konzerne und der bürgerlichen Presse hereingefallen ist. Genau wie beim KBW dient bei dem Münchner „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“ das Festhalten an ihrem Krisengerede der Verschleierung ihrer opportunistischen und kleinbürgerlichen Politik.
Die Führer des Arbeiterbundes sehen bereits seit 1971 die Krise am westdeutschen Wirtschaftshimmel heraufziehen. Da sie diese These nicht mit durch Erfahrung begründetem Material belegen können, verwirren sie ihre Anhänger durch laufend sich widersprechende Behauptungen. Die wirkliche Lage wird nicht konkret analysiert, sondern über den Daumen gepeilt, und so ist es nur erklärlich, daß auch sie auf den Zweckpessimismus der Konzerne hereinfallen, zumal diese Einschätzung noch ihr Zurückweichen vor dem offensiven und selbständigen Kampf der Arbeiterklasse bemäntelt.
Genau dieses Zurückweichen aber ist ein Ziel des Zweckpessimismus der Unternehmer. Die Angst vor der drohenden Wirtschaftskrise soll die Arbeiter vom selbständigen Kampf abhalten und sie zurück in die Arme der rechten Gewerkschaftsführung und des Reformismus treiben. Mit ihrer falschen Einschätzung der augenblicklichen wirtschaftlichen Lage unterstützen KBW und Arbeiterbund dieses Ziel. Solange der Kapitalismus besteht, wird es auch Wirtschaftskrisen geben: Das ist ein ökonomisches Gesetz des Kapitalismus. Aber im Augenblick können die Monopole noch ein wichtiges Instrument als „Krisenbremse“ einsetzen – den Staat.
„Die Monopole haben sich den Staatsapparat vollkommen untergeordnet. Dieser Staatsapparat übt zahlreiche wirtschaftliche Funktionen aus, die mit denjenigen der privaten Monopole verschmolzen sind. Unter Ausnutzung staatlicher Hebel will die Monopolbourgeoisie den Monopolprofit absichern und anheben. Mit Hilfe der Staatsgewalt wird den Monopolen ein zeitweilig relativ gesicherter Markt geschaffen, die Überproduktion zu drosseln und die Krise auf das arbeitende Volk abzuwälzen versucht.“ (Grundsatzerklärung des KABD, S. 7)
Im jetzigen staatsmonopolistischen Kapitalismus sind dem Staat viele Möglichkeiten gegeben, die Monopolprofite abzusichern und anzuheben: konjunktur- und haushaltspolitische Maßnahmen zur Unterstützung der Monopole, direkte Unterstützungsmaßnahmen wie Subventionen, Kredite und vor allen Dingen auch die politische Absicherung des Ausbeutersystems.
Um die Monopole vor einer Krise zu schützen, wurden und werden alle Maßnahmen getroffen, die Last auf die arbeitende Bevölkerung abzuwälzen, und bis jetzt ist das den deutschen Monopolherren mit Hilfe des Staates auch noch gelungen. Um der Offensive der Monopole die richtige Taktik entgegensetzen zu können, ist eine gründliche Analyse der westdeutschen Wirtschaft unumgänglich.