II.
Die Veränderungen in der Wirtschaft und Klassenstruktur der unterdrückten Länder
Zu Lenins Zeit gab es etwa 20 kapitalistische Länder. Heute ist in nahezu allen Staaten der Erde die kapitalistische Produktionsweise vorherrschend. Das ist das gesetzmäßige Ergebnis des Siegeszuges des Kapitalismus über den Feudalismus.
Die kapitalistisch-imperialistische Kolonialpolitik war verbunden mit einer Aufblähung des Machtapparats und gewaltiger Steigerung der Rüstungsproduktion. Damit erhielt der Staat immer größere Bedeutung. Seine Rolle hatte sich verwandelt: von einem Vertreter der Interessen des Gesamtkapitals in einen Vertreter der Interessen einer Handvoll Monopolkapitalisten. Angesichts der imperialistischen Kriegswirtschaft stellt Lenin bereits 1917 den beginnenden Übergang des Monopolkapitalismus zum staatsmonopolistischen Kapitalismus fest:
»›Der monopolistische Kapitalismus verwandelt sich in staatsmonopolistischen Kapitalismus, eine Reihe von Ländern gehen unter dem Druck der Verhältnisse zur öffentlichen Regulierung der Produktion und der Verteilung über, einige von ihnen führen die allgemeine Arbeitspflicht ein‹. Vor dem Kriege gab es das Monopol der Trusts und Syndikate, während des Krieges – das Staatsmonopol.«7
Während des II. Weltkriegs reifte in allen imperialistischen Ländern der Übergang des monopolkapitalistischen zum staatsmonopolistischen Imperialismus aus. Willi Dickhut definiert 1979 diese neue Qualität der kapitalistischen Gesellschaftsordnung in dem Buch »Der staatsmonopolistische Kapitalismus in der BRD, Teil I«:
»Staatsmonopolistischer Kapitalismus bedeutet die vollständige Unterordnung des Staates unter die Herrschaft der Monopole, die Verschmelzung der Organe der Monopole mit denen des Staatsapparates und die Errichtung der wirtschaftlichen und politischen Macht der Monopole über die gesamte Gesellschaft.« (S. 62)
Diese staatsmonopolistische Machtbasis ist die »höchste Form der nationalstaatlichen Organisation des Kapitalismus«8. Sie war wesentliche Grundlage für die nun einsetzende sprunghafte Internationalisierung der kapitalistischen Produktionsweise. Das bedeutete eine neue Phase in der Entwicklung des imperialistischen Weltsystems.
Die nationalen Befreiungskämpfe zerschlugen nach dem II. Weltkrieg das alte Kolonialsystem. Von nun an wurde der Kapitalexport zur vorherrschenden Methode der imperialistischen Kolonialpolitik. Dadurch blieben die – nunmehr formal – staatlich unabhängigen ehemaligen Kolonien den internationalen Monopolen unterworfen. So entstand der Neokolonialismus, der die Entwicklungsländer gefügig macht als Anlagegebiete für das überschüssige Kapital.
Vor 1945 gab es weltweit nur einige Hundert internationale Monopole. 1969 zählte man schon 7300, mit 27.300 Tochtergesellschaften. Der Prozess der beschleunigten Aufteilung der Welt durch die internationalen Monopole, der zur Zeit Lenins erst begonnen hatte, charakterisierte nun die Weltwirtschaft.
Der Kapitalexport in die imperialistischen Länder ist für die internationalen Monopole besonders attraktiv, denn dort ist der Kapitalhunger wegen der entwickelten Produktion sehr ausgeprägt. Das beschleunigte die gegenseitige Durchdringung und Verflechtung des imperialistischen Kapitals ungemein und wurde zum Motor der beschleunigten Internationalisierung der kapitalistischen Produktion.
Der Kapitalexport in die Kolonien hingegen konzentrierte sich auf die im Sinne des Maximalprofits lohnendsten Projekte. Willi Dickhut kennzeichnet treffend Ziele und Methoden:
»Rohstoffquellen, Absatzgebiete und Kapitalanlagen, das sind die imperialistischen Ziele aller Monopolkapitalisten. Um diese Ziele zu erreichen, ist den Imperialisten jedes Mittel recht, diplomatische Intrigen, Bestechung, Beteiligung am Profit, Erpressung, Bedrohung, Mordanschläge, Regierungsumbildungen mittels Korruptionen, militärischer Umsturz mit Hilfe korrumpierter Offiziere, militärischer Überfall von außen durch fremde Söldner oder eigene Truppen usw. usf.«9
Mit der Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise entwickelten sich in den neokolonial abhängigen Ländern unaufhaltsam eine nationale Bourgeoisie und das Industrieproletariat. Mithilfe von Krediten der imperialistischen Länder, des Internationalen Währungsfonds (IWF) oder der Weltbank baute die einheimische Bourgeoisie zahlreiche industrielle Fertigungsstätten auf.
Ist aber eine kapitalistische Industrie erst einmal eingeführt, drängt sie gesetzmäßig zu Konzentration und Zentralisation des Kapitals. Aus der nationalen Bourgeoisie – oder in deren Interesse – entwickelten sich in enger Verflechtung mit den internationalen Konzernen nationale private, halbstaatliche oder staatliche Monopole. Darüber schrieben wir 1993 in dem Buch »Der Neokolonialismus und die Veränderungen im nationalen Befreiungskampf«, dass in einer Reihe von Ländern, wie in Argentinien, Brasilien, Indien und Südkorea »das Großkapital der unterdrückten Länder in unterschiedlichem Grad von den Imperialisten abhängig (ist). Es wird selbst kontrolliert und hat sich in ein Instrument zur Ausübung der Herrschaft des internationalen Monopolkapitals über die Gesellschaft in den unterdrückten Ländern verwandelt.« (S. 121)
Grundlegende Voraussetzung für die Entstehung dieser einheimischen Monopole in einer Reihe von neokolonial abhängigen Ländern war die Verschmelzung der kapitalistischen Großgrundbesitzer mit dem Industrie-, Bank- und Handelskapital. Es handelte sich dabei vor allem um solche Länder, die aufgrund sozialökonomischer Voraussetzungen das besondere Interesse des internationalen Monopolkapitals für ihren Kapitalexport auf sich zogen. Sie waren meist großflächig, rohstoff- und bevölkerungsreich und durch relativ entwickelte kapitalistische Produktionsverhältnisse geprägt, besaßen eine relativ ausgebaute Infrastruktur, ein großes Potenzial an Arbeitskräften oder die Voraussetzungen für einen wachsenden Absatzmarkt. Letzterer entstand vor allem aus der Umwandlung einer rückständigen kleinbäuerlichen Agrarwirtschaft in kapitalistische agrarindustrielle Produktion.
Die Entstehung einheimischer Monopole war der wesentliche ökonomische Ausgangspunkt für die Herausbildung neuimperialistischer Länder.
1980 gab es in Brasilien, Mexiko, Argentinien, Indien, Südafrika, der Türkei und Südkorea 21 internationale Monopole, 1990 waren es 28.10 Sie waren jedoch noch wesentlich von den Imperialisten abhängig und nahmen in deren Interesse Einfluss auf die staatlichen Entscheidungen, die hauptsächlich vom Imperialismus geprägt waren.