2. Digitalisierung – wissenschaftlich-technischer Fortschritt stößt an die Grenzen des Kapitalismus
Digitalisierung durchdringt heute Produktion, Handel, Kommunikation und Gesellschaft. Schnellere Prozessoren, erhöhte Speicherkapazitäten, sprunghaft beschleunigte weltweite Datenvernetzung. Vernetzte Maschinen reagieren in Echtzeit auf erfasste Produktionszustände und Qualitätsmerkmale. Beim autonomen Fahren analysieren Rechner in Millisekunden komplexe Situationen einer (innerstädtischen) Verkehrswelt und führen Handlungsmöglichkeiten aus.
Das ist eine bedeutende materielle Vorbereitung des Sozialismus. Mit der gesteigerten Produktivität könnten Armut und Mangel überwunden und zugleich immer mehr Zeit gewonnen werden für gesellschaftliche Tätigkeiten. Dazu müsste allerdings die Arbeiterklasse die Macht haben – und nicht eine Handvoll Übermonopole.
Digitalisierung – in wessen Interesse?
Die Ideologen der sogenannten Industrie 4.0 handeln im Klasseninteresse der herrschenden Kapitalisten. Ihr Konzept ist ein Investitions- und Propagandaprogramm deutscher Monopole. Die Gründung der Plattform Industrie 4.0 verkündete der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zur Hannover Messe 2015, zusammen mit Unternehmerverbänden und Konzernchefs. Und man hatte sich von Anfang an der Klassenzusammenarbeit der IG-Metall-Führung versichert. Angeblich profitieren ja alle davon. So schreibt Dr. Constanze Kurz, Leiterin des Ressorts „Zukunft der Arbeit“ des IG-Metall-Vorstandes, 2012: „In dieser Perspektive stellen gute Arbeit, technologische Innovation und Mitbestimmung beim Projekt 4.0 keinen Widerspruch dar ... Aktive Zusammenarbeit von Betriebsräten, Gewerkschaften und Arbeitgebern sichert auch zukünftig die Pole-Position für Produkte ‚Made in Germany‘“.(2)
Wo geht es hier nun um die Arbeiter? Nein, hier geht es nicht um Arbeiterinteressen, sondern um Machtansprüche, um die „Pole-Position“ der deutschen Konzerne. Als ob deren Interessen mit denen der Arbeiter identisch wären. Ihre Weltmarktführerschaft bauen sie gerade dadurch aus, dass sie Mensch und Natur verstärkt ausbeuten.
Mit Industrie 4.0 kämpfen Unternehmerverbände und Bundesregierung um einen Markt, der bis 2035 auf über 420 Milliarden Euro(3) geschätzt wird. Unter dem Titel „Weltspitze, was sonst?“ erklärt die Zeitung „Die Welt“ das Motiv für Industrie 4.0: „Damit will sich die deutsche Industrie globale Marktführerschaft sichern ...“ Und sie zitiert Hartmut Rauen, den stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des Unternehmerverbandes VDMA: Die deutsche Industrie wolle „die Weltsprache der Produktion definieren“, und „Deutschland hat den Anspruch, Leitanbieter zu sein, wir sehen uns klar in einer Führungsposition“.(4) Maximalprofit erfordert eine marktbeherrschende Stellung. Und Marktführerschaft und Führungsposition bedeuten Maximalprofit. So entsteht im Kapitalismus aus der Digitalisierung eine neue Strukturkrise: Ganze Industriezweige werden zerschlagen, massenhaft Arbeitsplätze und Arbeitskraft entwertet und vernichtet. Nicht nur in der Produktion, auch im Einzelhandel, bei Banken, in Verwaltung und Logistik. Eine McKinsey-
Studie vom Herbst 2017 sieht weltweit 800 Millionen Arbeitsplätze bedroht.(5)
Bernd Osterloh, Betriebsratsvorsitzender bei VW, stellt zur Arbeitsplatzvernichtung im Konzern trocken fest: „Wir werden nicht 60 000 VW-Mitarbeiter in Wolfsburg zu Informatikern machen“(6) – eine Frechheit gegenüber den Kollegen! Als sei ihre Unterqualifizierung schuld an den Entlassungen. Dabei sind es doch oft gerade die Erfahrung und der Einsatz der Arbeiter, die die neuen Anlagen überhaupt erst zum Laufen bringen.
Kapitalistische Ökonomie hemmt die Digitalisierung
Wo sich Digitalisierung nicht für die Maximalprofite rechnet oder der kapitalistische Konkurrenzkampf ihrer Einführung Grenzen setzt, bleibt der Fortschritt aus: weil die dafür notwendigen riesigen Investitionsbudgets selbst von Konzernen nicht aufzubringen sind. Weil komplexe Computersteuerungen eine planmäßige, gesellschaftliche Entwicklung der Software erfordern – anstelle des kapitalistischen Konkurrenzkampfs.
Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate3
Schon Karl Marx deckte dieses Krisengesetz des Kapitalismus auf. Es zeigt, wie „die zunehmende Ersetzung lebendiger Arbeit durch Maschinen ... zu einem schlechteren Verhältnis von eingesetztem Kapital und erzieltem Profit“ (7) führt. Der notwendige Einsatz an konstantem Kapital, vor allem an technischen Anlagen, wächst mit der Digitalisierung enorm. Dieses gibt seinen Wert aber nur an das Endprodukt weiter, schafft keinen Neuwert. Das kann nur der Arbeiter, dessen Arbeitskraft mehr Wert schafft, als sie den Kapitalisten kostet. Selbst wenn die Ausbeutung jedes einzelnen Arbeiters erheblich gesteigert wird, kann das nicht die Investitionssteigerungen ausgleichen, die aber für den Konkurrenzkampf unverzichtbar sind. Die Profitrate, also das Verhältnis von Profit/Gewinn zum insgesamt eingesetzten Kapital, sinkt tendenziell. Der Automatisierungsgrad hat im Kapitalismus vor allem darin seine Grenzen, dass nur durch die lebendige Arbeitskraft der Arbeiter Mehrwert geschaffen werden kann.
Etliche mit Industrie 4.0 geplante Projekte wurden schon wieder auf Eis gelegt. VW-Kollegen berichten: „Der T7-Rohbau VW Hannover wird 2022 ... 90 Prozent Automatisierungsgrad haben ... Auf der anderen Seite werden Projekte zur Automatisierung der Fahrzeug-Endmontage … nur zaghaft angefasst, in Einzelfällen zurückgefahren. So wurden ... aufgrund verringerter Taktzeit Roboter wieder rausgenommen, um das Band nicht ‚aufzuhalten‘. Stattdessen gibt es schwerste Handarbeit.“
Der Bau des mit einer Milliarde Euro geplanten neuen Vorzeigewerks für die Smart Factory (digitalisierte Fabrik) von Daimler im ungarischen Kecskemét wurde angesichts rückläufiger Absatzzahlen gestoppt. Insgesamt sind die Investitionen der deutschen Automobilindustrie 2018 gegenüber 2017 sogar zurückgegangen, von 26,7 auf 22,4 Milliarden Euro.(12) Das schlägt auf den Maschinenbau zurück und reißt diesen mit in die Krise.
„Diese Maschinen erreichen niemals die Grenzen des menschlichen Gehirns“
Mit der Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) werde der Arbeiter angeblich überflüssig, behauptet die bürgerliche Ideologie. Diese These ist nicht neu. Willi Dickhut4 kritisierte sie schon 1988 in der Reihe Revolutionärer Weg, dem theoretischen Organ der MLPD: „Ein neuzeitliches Produkt des Denkens ist die ‚künstliche Intelligenz‘ in Form von Robotern und Computern. Diese Maschinen sind Produkt und Anwendung des menschlichen Denkens. Sie können ... wohl logische Funktionen und Berechnungen ausführen, erreichen aber niemals die Grenzen des menschlichen Gehirns, soweit es die Erschließung neuer Seiten und Zusammenhänge, das dialektische Denken betrifft.“(13) Auch Vertreter des Kapitals sind sich dessen bewusst. Die Bedeutung des internationalen Industrieproletariats als Lenker und Überwacher der digitalisierten Produktion nimmt folgerichtig zu.
Gesellschaftlicher Fortschritt muss revolutionär erkämpft werden
Die Arbeiterklasse wächst weltweit. Auch Handwerk, sogenannte Dienstleistung, Verwaltung und soziale Berufe werden industrialisiert. Das internationale Industrieproletariat, das rund 600 Millionen Menschen zählt, produziert in den weltweiten Produktionsverbünden gemeinsam und auf modernstem Niveau. Aneignung, Verteilung und Verfügung über die Werte hingegen sind stehen geblieben auf dem Niveau des kapitalistischen Privatbesitzes an Produktionsmitteln, der persönlichen Bereicherung und mörderischer Konkurrenz.
Der Kapitalismus muss revolutionär überwunden – und der Sozialismus aufgebaut werden, um dem Fortschritt für Mensch und Natur zum Durchbruch zu verhelfen.
Die IG-Metall-Führung dagegen verspricht, dass der technische Fortschritt im Kapitalismus durch Transformation „... auch sozialer Fortschritt werden“ könne.(14) Das aber gehört genauso ins Reich der Legende wie die biblische „Transformation“ von Wasser in Wein. Damit haben die Arbeiter in den letzten Jahrzehnten genügend Erfahrungen gemacht.
Wir brauchen Massenkämpfe und Massenstreiks für unsere ökonomischen, politischen und ökologischen Anliegen, wie es 2018 und 2019 Millionen Kolleginnen und Kollegen gemacht haben. Natürlich, mancher Reformist zuckt da zusammen. Schließlich behandelt er in der behaglichen deutschen Betriebsfrieden-Romanze den Streik höchstens als „letztes Mittel“. Das am besten vermieden wird. Wollen wir Arbeiter in die Offensive kommen, müssen wir uns von dieser Romanze verabschieden.
Um unser Klassenbewusstsein zu zersetzen, wird erzählt, wir müssten „gemeinsam durch die Krise“. Als wenn das Opfer des Verbrechens unter Aufsicht des Täters dessen Sozialstunden abarbeiten würde. Ins gleiche sozialchauvinistische5 Horn stoßen die Bundes- und die Landesregierungen, die alle nach rechts gerückt sind, und die bürgerlichen Parteien bis hin zu faschistoiden6 Kräften: Sie fordern Burgfrieden im Land – gegen die „ausländische Gefahr“. Doch damit lenken sie ab vom eigentlichen „Konflikt“, dem Kampf nämlich zwischen der ausgebeuteten und der ausbeutenden Klasse in jedem Land. Auch einzelne Gewerkschaftsfunktionäre beteiligen sich an antikommunistischen Hass-Angriffen auf die MLPD oder deren vermeintliche Mitglieder. Dieses Liquidatorentum7 geht aus von den Monopolen, in Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst „Verfassungsschutz“, und es zielt auf die Schwächung und Spaltung jeder klassenkämpferischen und revolutionären Bewegung.
Die weltweite Vernichtungsschlacht der Imperialisten hat die Menschheit so nah an einen Dritten Weltkrieg gebracht wie selten zuvor. Umso mehr brauchen wir ein neues Selbstbewusstsein als Arbeiterklasse – über Konzerngrenzen und Nationalitäten hinweg.
Strukturkrisen im Kapitalismus
Eine Strukturkrise ist eine tiefgehende, krisenhafte Umgestaltung einer Volkswirtschaft. Ursache kann sein: eine Veränderung in der Rohstoff- oder Energieversorgung, in der Technik oder Organisation der Produktion. Sie kann zum Schrittmacher einer Überproduktionskrise und mit ihr identisch werden. Es werden weit mehr Arbeitsplätze vernichtet als neue geschaffen. Zudem lassen sich die Konzerne Ersatz- und Rationalisierungsinvestitionen aus Steuergeldern bezahlen. Auch, um damit eine Überproduktionskrise hinauszuzögern. Der Umsatz pro Beschäftigtem in den deutschen Automobilkonzernen stieg von 1997 bis 2017 von 220 000 auf 570 000 Euro, also um 160 Prozent. Die Produktion von Fahrzeugen – und vor allem die Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter und der Natur – wurden erheblich gesteigert. Die Märkte wachsen jedoch nicht so schnell, und sie sind von Konkurrenten umkämpft. Die in Deutschland ansässigen Automonopole gerieten bei der Digitalisierung und Umstellung auf E-Mobilität ins Hintertreffen. Die Strukturkrisen durch die Digitalisierung, die Einführung von E-Mobilität und die Neuorganisation der internationalen Produktion werden so zu Schrittmachern der aktuellen Überproduktionskrise.
Die Frage der Arbeitszeit
2018 arbeiteten über 50 Prozent der Beschäftigten in Deutschland auch am Wochenende(8), und in Baden-Württemberg wurden 145,5 Millionen Überstunden geleistet. Das entspricht 88 000 Vollzeitstellen.(9) In der deutschen Automobilindustrie gibt es derzeit rund 834 000 Stammarbeitsplätze mit einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden. Bezogen darauf würde die Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich rechnerisch rund 140 000 Arbeitsplätze schaffen. Sie muss auf Kosten der Monopolprofite erkämpft werden.
Jack Ma, Chef des chinesischen Online-Monopols Alibaba, vergleichbar mit Amazon, lässt das Modell „996“ praktizieren: Arbeitszeit von 9 bis 21 Uhr an
6 Tagen – eine 72-Stunden-Woche! In China entwickelt sich der Widerstand unter dem Motto: „Kein Schlaf, kein Sex, kein Leben“.(10) Laut Arbeitgeberverband BDA fordert dessen Präsident, Ingo Kramer, ebenfalls Änderungen des Arbeitszeitrechts, nämlich, es „von einer Tageshöchstarbeit auf eine Wochenarbeitszeit umzustellen“.(11) Im Kampf um die Arbeitszeit stellt sich die Frage, wem der Produktivitätsfortschritt eigentlich nutzt. Im Sozialismus würden die Arbeiter als Klasse darüber entscheiden, in welchem Maß er der Gesellschaft in Form von mehr Zeit zugutekommt.
Die Frage der Arbeitszeit
2018 arbeiteten über 50 Prozent der Beschäftigten in Deutschland auch am Wochenende(8), und in Baden-Württemberg wurden 145,5 Millionen Überstunden geleistet. Das entspricht 88 000 Vollzeitstellen.(9) In der deutschen Automobilindustrie gibt es derzeit rund 834 000 Stammarbeitsplätze mit einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden. Bezogen darauf würde die Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich rechnerisch rund 140 000 Arbeitsplätze schaffen. Sie muss auf Kosten der Monopolprofite erkämpft werden.
Jack Ma, Chef des chinesischen Online-Monopols Alibaba, vergleichbar mit Amazon, lässt das Modell „996“ praktizieren: Arbeitszeit von 9 bis 21 Uhr an
6 Tagen – eine 72-Stunden-Woche! In China entwickelt sich der Widerstand unter dem Motto: „Kein Schlaf, kein Sex, kein Leben“.(10) Laut Arbeitgeberverband BDA fordert dessen Präsident, Ingo Kramer, ebenfalls Änderungen des Arbeitszeitrechts, nämlich, es „von einer Tageshöchstarbeit auf eine Wochenarbeitszeit umzustellen“.(11) Im Kampf um die Arbeitszeit stellt sich die Frage, wem der Produktivitätsfortschritt eigentlich nutzt. Im Sozialismus würden die Arbeiter als Klasse darüber entscheiden, in welchem Maß er der Gesellschaft in Form von mehr Zeit zugutekommt.
Strukturkrisen im Kapitalismus
Eine Strukturkrise ist eine tiefgehende, krisenhafte Umgestaltung einer Volkswirtschaft. Ursache kann sein: eine Veränderung in der Rohstoff- oder Energieversorgung, in der Technik oder Organisation der Produktion. Sie kann zum Schrittmacher einer Überproduktionskrise und mit ihr identisch werden. Es werden weit mehr Arbeitsplätze vernichtet als neue geschaffen. Zudem lassen sich die Konzerne Ersatz- und Rationalisierungsinvestitionen aus Steuergeldern bezahlen. Auch, um damit eine Überproduktionskrise hinauszuzögern. Der Umsatz pro Beschäftigtem in den deutschen Automobilkonzernen stieg von 1997 bis 2017 von 220 000 auf 570 000 Euro, also um 160 Prozent. Die Produktion von Fahrzeugen – und vor allem die Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter und der Natur – wurden erheblich gesteigert. Die Märkte wachsen jedoch nicht so schnell, und sie sind von Konkurrenten umkämpft. Die in Deutschland ansässigen Automonopole gerieten bei der Digitalisierung und Umstellung auf E-Mobilität ins Hintertreffen. Die Strukturkrisen durch die Digitalisierung, die Einführung von E-Mobilität und die Neuorganisation der internationalen Produktion werden so zu Schrittmachern der aktuellen Überproduktionskrise.