30 Jahre Mauerfall

30 Jahre Mauerfall

Zum Doppelcharakter der Wiedervereinigung Deutschlands

Wie sich die MLPD eine dialektische Beurteilung des Mauerfalls und der Wiedervereinigung erkämpfte

Zum Doppelcharakter der Wiedervereinigung Deutschlands
Montagsdemonstration in Leipzig am 16. Oktober 1989, Foto: Bundesarchiv / Bild / 183-1990-0922-002 / Gahlbeck, Friedrich / CC-BY-SA 3.0

Um die richtige Beurteilung der demokratischen Volksbewegung und der Wiedervereinigung entwickelte sich eine gesamtgesellschaftliche
Auseinandersetzung, die vor der MLPD nicht halt machte. Es entbrannte auf der einen Seite ein antikommunistisches Trommelfeuer, weil die Herrschenden im Mauerfall den Beweis für das historische Scheitern des Sozialismus sahen. Auf der anderen Seite lehnten kleinbürgerliche Linke die demokratische
Volksbewegung ab – aufgrund ihres Skeptizismus in die Massen und aus Furcht davor, dass aus einer möglichen Wiedervereinigung ein übermächtiger deutscher Staat hervorgehen würde. In diesem komplizierten Gegenwind musste die MLPD den Massen in Ost und West eine klare Orientierung geben.

Die Volksbewegung in der DDR war in ihrer Gesamtheit nicht antikommunistisch motiviert, wie es auch zum diesjährigen Jahrestag des Mauerfalls wieder suggeriert wird. Die Massen und besonders die Jugend wurden aktiv aus einem tiefen Drang nach mehr Demokratie und Freiheit, gegen das Ausreiseverbot, aus Kritik an der massenhaften Bespitzelung durch die Stasi sowie einer Atmosphäre der Angst und Denunziation. Die MLPD wertete damals aus: „Auch das deutsche Monopolkapital war über die konkrete Entwicklung in der DDR überrascht – das zeigen die politischen Verlautbarungen und Pläne aller bürgerlichen Parteien vor dem Aufschwung der Volksbewegung. Das rasche Reagieren auf die neue Situation und das anschließende Tempo der Einverleibung der DDR war deshalb kein Ausdruck einer Großdeutschlandpolitik, wie die MLPD zunächst annahm.

Als Exportweltmeister kann der BRD Imperialismus aktuell kein Interesse an einer Schürung internationaler Spannungen und kriegerischer Eroberungen haben. Wirkungsvoller ist die wirtschaftliche Durchdringung auf leisen Sohlen, was ihn nicht davon abhält, sich in ausgebrochene Konflikte einzumischen wie im Fall Jugoslawien. Auch die Wahrnehmung der einmaligen Chance zur Übernahme der DDR wurde ohne Zögern wahrgenommen.

Die Taktik des neudeutschen Imperialismus zu verkennen, führte bei der MLPD zunächst zu einer Unterschätzung der Rolle der DDR-Volksbewegung. Zwar
wurde sie von Beginn an in ihren demokratischen Zielen unterstützt und in der ROTEN FAHNE breit propagiert, der Gedanke der Wiedervereinigung ohne vorherigen Sturz der Monopolmacht jedoch abgelehnt.

Das war eine dogmatische Auslegung der Parteilinie der MLPD und geriet in Widerspruch zu den berechtigten Forderungen der Massen. … Ein solches friedliches Verschwinden eines Staates und die Auflösung seiner herrschenden Klasse war nur möglich, weil die ökonomische Grundlage der DDR bereits kapitalistisch war.“

(Sozialismus am Ende?, S. 139–141)

Sozialismus am Ende?

Welche Rolle spielte die Bevölkerung der DDR bei der Wiedervereinigung Deutschlands? Und welche der westdeutsche Imperialismus? Diese und andere Fragen beantwortet Willi Dickhut in seinem Buch „Sozialismus am Ende?“

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Im Ergebnis ermöglichte der Sturz des bürokratisch-kapitalistischen Honecker-Regimes dem BRD-Imperialismus die Einverleibung der DDR und die Stärkung
seiner eigenen Weltmachtrolle. Dazu nahmen die westdeutschen Monopolparteien geschickt Einfluss auf die demokratische Volksbewegung, dem diese weitgehend unterlag. Der revisionistische Verrat der SED-Führung und ihre Unterordnung unter die Einverleibung in die BRD taten ihr Übriges.

Korrektur einer falschen These

In seiner „Erklärung zur Deutschlandfrage“ vom 4.1.1990 verbreitete das Zentralkomitee die falsche These: „Wer unter der Herrschaft des Imperialismus die deutsche Einheit verwirklichen will, der macht sich, ob er will oder nicht, zum Handlanger des deutschen Monopolkapitals.“

Im Rechenschaftsbericht an den Berliner Parteitag der MLPD von 1991 wurde der prinzipielle Fehler aufgearbeitet:

„Das war ein grundsätzlicher Fehler und bedeutete eine dogmatische Auslegung der Linie der Partei. Die Feststellung im Parteiprogramm der MLPD (dem Gründungsprogramm von 1982 – Anm. d. Red.), daß die Spaltung Deutschlands erst nach dem Sturz des Imperialismus und der Errichtung der Diktatur des Proletariats in beiden deutschen Staaten überwunden werden könne, war eindeutig zeitgebunden.

Es konnte damals nicht vorhergesehen werden, daß eine besondere politische Entwicklung eintreten würde, die eine friedliche Vereinigung unter der Herrschaft des Monopolkapitals möglich macht. Es war ein grundlegendes Versäumnis des ZK, die aktuelle Entwicklung ungenügend untersucht zu haben. Deshalb erkannte es auch nicht den Doppelcharakter der Wiedervereinigung. Die Überwindung der Spaltung der Nation war in erster Linie das fortschrittliche Ergebnis des Massenkampfs. Die Wiedervereinigung eröffnet die Möglichkeit, die marxistisch-leninistische Partei im gesamtnationalen Rahmen aufzubauen und die Arbeiterklasse in Ost und West im Kampf um den Sozialismus zusammenzuschließen. Die einseitige Bekämpfung des Einverleibungskurses der Monopole ignorierte diesen fortschrittlichen Charakter der Wiedervereinigung und die Meinungen der Massen, die mehrheitlich die Wiedervereinigung begrüßten.“

(Dokumente des IV. Parteitags der MLPD, S. 124/125).

Grundlegende Lehren

Alarmiert durch Kritiken von MLPD-Mitbegründer und -Vordenker Willi Dickhut an einer Häufung prinzipieller Fehler erkämpfte sich das Zentralkomitee unter Führung von Stefan Engel eine tiefgehende Aufarbeitung, in die die ganze Partei erfolgreich einbezogen wurde. Die Wurzel der Verdrängung der im theoretischen Organ REVOLUTIONÄRER WEG zusammengefassten ideologisch-politischen Linie und der grundsätzlichen Seite lag in der mangelhaften Beherrschung der dialektischen Methode: „Ohne allseitige Aneignung und Anwendung von Lenins Bestimmungen der Dialektik musste es aber bei der äußerst komplizierten Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus zu groben Fehlern kommen.“

(Ebenda, S. 207)

Auch deshalb legt die MLPD größten Wert auf die Schulung und Ausbildung ihrer Mitglieder. Die Befähigung zur selbständigen Orientierung mit Hilfe der bewussten Anwendung der dialektische Methode wurde davon ausgehend zu einem zentralen Bestandteil der Ausbildung in der MLPD. Unter Leitung von Stefan Engel wurde ein ganzes System von Dialektik-Kursen konzipiert, an dem bis heute Tausende teilnahmen.