Clara Zetkin

Clara Zetkin

Lenin – alles andere als ein abgehobener „Apparatschick“ ¹

Clara Zetkin, führende Kommunistin und Frauen­rechtlerin in Deutschland zu Lebzeiten Lenins, ­berichtet in einem ganzen Buch von ihren „Erinnerungen an Lenin“.² Ein Kontrastprogramm zur heutigen antikommunistischen Verleumdung seiner Person

Lenin – alles andere als ein abgehobener „Apparatschick“ ¹
Clara Zetkin (1857–1933), Kommunistin und Frauenrechtlerin. Foto: gemeinfrei

Es war im Frühherbst 1920, als ich Lenin zum ersten Mal wiedersah, seit die russische Revolution begonnen hatte, „die Welt zu erschüttern“ … Lenin erschien unverändert, kaum gealtert. Ich hätte Eide schwören mögen, dass er den gleichen bescheidenen, sauber gebürsteten Rock trug, in dem ich ihn 1907 … in Stuttgart gesehen hatte. …

Als hervorragendsten Wesenszug Lenins empfand ich während der Sitzung – wie stets später – die Schlichtheit und Herzlichkeit, die Selbstverständlichkeit seines Verkehrs mit allen Genossen. …

Lenin hatte die unbestrittene Führung in einer Partei, die zielsetzend und wegweisend den russischen Proletariern und Bauern im Kampf um die Macht vorangeschritten war und die nun, von ihrem Vertrauen getragen, regierte, die Diktatur des Proletariats ausübte. … „Genosse Lenin führt uns zum Kommunismus, wir halten durch, wie schwer es auch sei“, erklärten die russischen Arbeiter, die, ein ideales Reich höchster Menschlichkeit vor der Seele, hungernd, frierend an die Fronten eilten oder sich unter unsäglichen Schwierigkeiten um die Wiederaufrichtung der Industrie mühten. … „Eviva Lenin!“ stand auf der Mauer mehr als einer Kirche in Italien, der Ausdruck enthusiastischer Bewunderung irgendeines Proletariers, der in der russischen Revolution die Bahnbrecherin seiner Befreiung grüßte. Unter ­Lenins Namen sammelten sich in Amerika wie in Japan und Indien Rebellen wider die versklavende Macht der Besitzer.

Wie einfach, wie bescheiden trat Lenin auf, der schon auf ein historisches Riesenwerk zurückblicken konnte und auf dem eine erdrückende Last gläubigen Vertrauens, schwerster Verantwortlichkeit und nie endender Arbeit lag! … Mit keiner Geste, keiner Miene wollte er als „Persönlichkeit“ wirken. Solches Gehabe war ihm fremd, denn er war wirklich eine Persönlichkeit. …

Während der Pausen ein wahrer Ansturm auf ­Lenin. Genossen und Genossinnen aus Moskau, Petrograd, aus den verschiedensten Zentren der Bewegung und Jugendliche, viele Jugendliche umdrängten ihn. „Wladimir Iljitsch, bitte …“ „Wir wissen wohl, Iljitsch, daß Sie … aber …“ So und so ähnlich schwirrten ­Bitten, Anfragen, Vorschläge durcheinander.

Lenin war im Anhören und Antworten von unerschöpflicher, rührender Geduld. Er hatte ein offenes Ohr und einen guten Rat für jede Parteisorge wie für persönliche Schmerzen. Herzerquickend war die Art und Weise, wie er mit der Jugend verkehrte – kameradschaftlich, frei von jeder pedantischen Schulmeisterei, von jedem Dünkel, dass das Alter allein schon eine unübertreffliche Tugend sei. Lenin bewegte sich als gleicher unter gleichen, mit denen er durch alle Fasern seines Herzens verbunden war.